Spätestens
seit die Regierungskoalition Ende März einen Antrag zur
„Stärkung der Digitalen Bildung“ in
den Bundestag eingebracht hat, läuft eine öffentliche Kontroverse zum Sinn und
Nutzen digitaler Lernmedien in Schulen: Von der Bild über den Stern und die FAZ
bis hin zu Tagesthemen, SZ und Deutschlandradio Kultur beteiligen sich fast
alle großen Medien daran. Dabei kommen seit Neuestem auffällig häufig die Kritiker
der „Digitalisierung“ zu Wort.
Nachdem
sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, in einem Radio-Interview
bereits gegen die „totale Digitalisierung“ bzw. „Zwangsdigitalisierung“ der
Schule ausgesprochen hat, stemmte sich kürzlich auch der Fachhochschulprofessor
für Mediengestaltung, Ralf Lankau, mit einem kämpferischen Beitrag für die FAZ
vom 9.4.2015, gegen das „Joch der Digitalisten“. Darin bezieht er Stellung gegen die
vermeintlich Industrie-hörige Front aus Lobbyisten und Politik und klagt vehement
das „Menschliche“ gegenüber den „profitmaximierenden Systemen“ der
„Digitalisten“ ein (wobei die „Kapitalisten“ hier sicherlich bewusst
mitschwingen). An den digitalen Lernmedien lässt er erwartungsgemäß kein gutes
Haar, und der Bundesregierung unterstellt er, dass anstelle von Sprach- und
Leseförderung künftig Programmierunterricht an Grundschulen eingeführt werden
solle. Jugendliche Mediennutzer sind für Lankau „Smartphone Zombies“, denen das
Handy am besten komplett entzogen werden sollte, damit sie endlich wieder
ausgeschlafen zum Unterricht erscheinen.
Abgesehen
davon, dass Lankau mit dieser Sicht der Dinge vielen Smartphone-geplagten
Eltern und Lehrern aus der Seele sprechen wird, bleibt natürlich die Frage, wie
der digitale Medienwandel von Schulen und Lehrern pädagogisch sinnvoll bearbeitet
und gestaltet werden kann. Denn dieser Wandel ist ja zweifellos da und prägt
längst unsere Lebens-, Arbeits- und Bildungswelt. Aktuelle Studien zeigen, dass
rund 90% der Jugendlichen hierzulande Smartphones oder Tablets ihr Eigen
nennen. Kann, darf und soll die Pädagogik diese Entwicklungen tatsächlich unter
Hinweis auf Industrie-Interessen und andere „Risiken und Nebenwirkungen“
schlichtweg ablehnen?
Die
öffentliche Debatte über digitale Medien in der Schule funktioniert, wie sollte
es anders sein, nach dem Muster „Entweder/Oder“. Befürworter und Ablehner
gefallen sich in Extrempositionen. Vor die Wahl gestellt: Gemeinsamer Schulausflug
und Naturerkundung des Mischwalds in Begleitung eines begeisterten Bio-Lehrers
einerseits, oder individuelles Durcharbeiten der Lern-App zum „ Wald und seinen
Bewohnern“ andererseits: Wer würde hier nicht spontan der Medienkritik
zuneigen? Doch stimmen diese Alternativen wirklich, und vor allem: schließen
sie sich gegenseitig aus?
Ist
es nicht sinnvollerweise so, dass beides stattfinden kann: sowohl die Lern-App
vor dem Ausflug zuhause, als auch das Teamwork beim Ausflug, sowohl das Smartphone
zum Dokumentieren, Kooperieren und Orientieren als auch der Notizblock? Könnte
die Kombination aus Multimedia und Pflanzenbestimmungsbuch, aus mobiler Kommunikation
und sozialer Interaktion, aus formalen und informellen Lernprozessen, oder
anders formuliert: aus „analog“ und „digital“ nicht sehr viel fruchtbarer sein,
und für Lehrer wie für Schüler befriedigender, effektiver und nachhaltiger?
Bei
aller Wertschätzung für das Schulbuch: Wer schon einmal den durchschnittlichen
Schulranzen einer heutigen 5-Klässlerin getragen hat, wird sich wünschen, dass
zumindest ein Teil der Bücher durch rückenschonende digitale Daten ersetzt
werden könnte. Dabei muss allerdings auch klar sein: Das Tablet und Smartphone
einerseits und das Schulbuch andererseits sind nicht nur zwei verschiedene
Medien, mit ihren besonderen Vor- und Nachteilen. Sondern sie stehen, wie
Michael Giesecke in seiner Geschichte des Buchdrucks gezeigt hat, als Technologien
für komplett unterschiedliche „Informationssysteme“. Die Schule, wie sie heute existiert, konnte ja
erst auf Basis des Buchdrucks entstehen. Denn nur die Durchsetzung des gedruckten
Buchs ermöglichte einen gemeinsamen Wissenskanon und einen allgemein-verbindlichen
Lehrplan mit zugehörigen Prüfungen, vergleichenden Leistungstests und dem
heutigen Typ des Klassenraum-Unterrichts.
Die
Schule des digitalen „Informationssystems“ wird sich davon unterscheiden. Wie
genau, das zeigt sich in ersten Ansätzen und digitalen Bildungsprojekten, in
denen die Grenzen zwischen Wissens-Aneignung und -Austausch, persönlichen und
kollektiven Lernprozessen verschwimmen und die Lehrer viel stärker als heute eine
Art „Personal Learning-Coach“-Rolle einnehmen. Bis es soweit ist, bis die
Regeln und Rituale des digitalen Bildungssystems feststehen, werden die
Befürworter der traditionellen, Buch-basierten Schuldidaktik noch auf manche
Nachteile der „Digitalen Bildung“ hinweisen. Nicht immer hält diese Kritik
sachlicher Argumentation stand. Manchmal will sie das vielleicht auch gar
nicht.
Die
Einrichtung eines „Pakts für Digitale Bildung“, der, wie es im eingangs
erwähnten Antrag der Regierungskoalition heißt, „die unterschiedlichen
Aktivitäten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bündelt, digitale
Infrastruktur und Ausstattungen finanziell fördert und didaktisch sinnvolle
Projekte sowie Lernende, die sich aus finanziellen Gründen kein digitales
Endgerät anschaffen können, unterstützt“ – dieses Aktionsprogramm hat es jedenfalls
nicht verdient, mit Hinweis auf die fehlende „Menschlichkeit“ der Digitalen
Bildung derart diskreditiert und z.T. bewusst falsch verstanden zu werden.
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